Das Reparieren hat durchaus kulturhistorische Bedeutung. Glauben Sie nicht?

Neulich bat mich jemand aus dem Bekanntenkreis, eine alte Todesanzeige zu restaurieren. Der Zeitungsausschnitt hatte arg gelitten. Er war vielfach geknickt worden; Risse hatte man mit Klebestreifen geflickt, der über die Jahrzehnte das Papier angegriffen hatte.

 

Besonders das Foto des Verstorbenen war kaum mehr erkennbar, im Text waren ganze Buchstabengruppen durch den materiellen Verfall unlesbar geworden. Fotografieren der Anzeige, Ersetzung des zerstörten Fotos durch das gleiche Bild, das ich glücklicherweise aus einer anderen Quelle zur Verfügung hatte, Auffinden der Schrift, die in der Originalanzeige verwendet worden war (Futura) und Ersetzung der unleserlichen Buchstabengruppen: nach zwei Stunden Arbeit war das Werk vollbracht. Viele weitere Stunden Arbeit hätten eine „originalgetreue“ Vollrestauration ergeben, also eine Rückführung der Anzeige in den Zustand, wie er für den Zeitpunkt des Drucks zu vermuten gewesen war. Aber das war gar nicht gewünscht, man gab sich mit der Teilrestauration zufrieden.

 

Nur eine nette Stilübung, gewiss. Aber natürlich ist das Restaurieren ein unglaublich großer und wichtiger Zweig der Bemühungen um Kulturerhalt, und es kann an den erstaunlichsten Ecken relevant werden. Der Arbeit der Sängerin Stef Connor und des Instrumentenbauers Andy Lowings haben wir es beispielsweise zu verdanken, dass es heute immerhin Rekonstruktionen von babylonischer Musik gibt, die den alten Babyloniern möglicherweise vage bekannt vorgekommen wären.

http://europe.newsweek.com/what-did-ancient-mesopotamian-hits-sound-something-291543?rm=eu

Die kulturellen Schandtaten, die der IS in Palmyra begangen hat, sind möglicherweise durch moderne technische Mittel zu mildern.

http://www.derwesten.de/kultur/rekonstruktion-palmyras-gut-moeglich-aimp-id11703221.html

Was haben die Rekonstruktion einer alten Todesanzeige, von babylonischer Musik und der Ruinen von Palmyra gemeinsam? Drei Dinge. Es handelt sich um Akte der Reparatur. Die Reparatur als Restauration kann niemals zu 100 Prozent erfolgreich sein – und soll es auch gar nicht. Aber selbst im unvollkommenen Zustand geben die Restaurationen den Menschen Erinnerungen zurück – ob es nun um Privatpersonen geht oder um die ganze Menschheit.

 

Erinnerungen Palmyra

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